02.05.2007 - Bis ans Ende der Welt
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GESCHICHTE TAG FÜR TAG
02.05.2007 - ... bis ans Ende der Welt
Es war der 2. Mai. In Westeuropa war längst Frühling, doch ich stapfte durch Jamal, auf deutsch „Ende der Welt“, bei -35 Grad und strahlend blauem Himmel. Mercedes-Limousinen fuhren neben Schneemobilen durch die Straßen von Salechard – einer Stadt, auf Pfählen gebaut, damit darunter Autos parken können. Aber trotz Technik und Struktur entstand keine Wärme. Jede Nacht liefen die Motoren durch, um nicht einzufrieren. Der beißende Geruch erinnerte mich an ein Pionierland – oder an einen möglichen Blick in die Zukunft. Wenn der Mensch je auf dem Mars landet, wird es dort genauso riechen: kalt, künstlich, ungeborgen.
Inmitten dieser unwirtlichen Welt traf ich Menschen – Brüder und Schwestern im Glauben. Christen, die sich bewusst entschieden haben, dort zu leben. Auch wenn das bedeutet, Rentierfleisch roh zu essen, sich der Kälte auszusetzen und auf viele Annehmlichkeiten zu verzichten. Einer von ihnen war Oleg, ein Nenze, der Jesus gefunden hat und ihn liebt – obwohl seine Frau ihn seit über einem Jahr nicht mehr ansieht, nicht mehr anspricht. Das ist Tradition. Die Nenzen glauben, dass die Frau vom bösen Gott geschaffen ist – und deshalb darf sie keinem Mann in die Augen sehen. Liebe kennen sie nicht. Kein Wort dafür. Auch Oleg kannte es lange nicht.
Die Bibelübersetzer suchten jahrelang nach einem Begriff für Gottes Liebe. Schließlich fanden sie eine Erklärung, die irgendwie passte: „Gott hat Seinen Sohn auf diese Welt geschickt, um Deinen Brautpreis zu bezahlen.“ Für Oleg war das ein Durchbruch. Er verstand: Liebe hat mit Aufopferung zu tun. Mit Zuwendung. Mit Hoffnung.
Ich war dort. Ich habe das Schweigen gespürt, den Schmerz und das tiefe Sehnen. Aber ich habe auch das Evangelium gesehen – wie Licht in einer dunklen Welt. Und dann, auf dem Rückflug, trafen wir wieder Ludmila, die Stewardess vom Hinflug. Wir hatten ihr ein Traktat gegeben, ganz beiläufig. Nun, fünf Tage später, sagte sie: „Ich habe Fragen.“ Während des ganzen Fluges sprach sie mit unserem Bruder Michail, während ihre Kolleginnen ohne Murren ihre Arbeit an Bord übernahmen. Und am Ende bekannte sie ihre Schuld und bat Gott um ein neues Leben.
Jesus sagte: „Geht hin in alle Welt…“ Ich war dort. Ich habe gesehen, wie sein Wort auch das Ende der Welt erreicht. Jamal, Ludmila, Oleg – sie alle erinnern mich: Die Mission ist lebendig. Und sie geschieht nicht nur dort, sondern überall, wo wir hingehen. Auch hier. Auch heute.
„Und siehe, ich bin bei euch alle Tage – bis an der Welt Ende.“ (Matthäus 28,20)
( Die Namen der Nenzen wurden geändert.)
Der Text darf unter Nennung der www-Seite und des Namens des Autors "Hellmut Hentschel" weiter veröffentlicht werden.
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