Kapitel 7 - Graf Pückler in seiner Bedeutung für das Reich Gottes

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GESCHICHTE DER CHRISTLICHEN GEMEINSCHAFTEN ST. MICHAEL


Autor: Max Diedrich (1958)


(dieser Text ist als ein Geschichtsdokument anzusehen, manche Worte und Ausdrucksweisen sind heute nicht mehr gebräuchlich)





Kapitel 7 - Graf Pückler in seiner Bedeutung für das Reich Gottes und die Gemeinschaftsbewegung
Im breiten Strom ergoß sich beim Tode des Grafen jener klare Quell aus Himmelshöhen am Wedding in zwölf breiten Armen ins Meer der großen Gnade Gottes. Und doch nicht dieses eine Werk hat bei seinem Tode getrauert. Seine Bedeutung ist nicht erschöpft mit seinem Lebenswerk St. Michael, sondern Weit darüber hinaus erstreckte sich die Bedeutung dieser überaus starken und gesegneten Persönlichkeit.


Als das Neue, das er in Berlin für seine Michaelsarbeit als äußerst praktisch und notwendig erfunden hatte, setzte sich in Berlin und anderen Großstädten auch in anderen Gemeinschaftskreisen durch. Hofsingen, Feld-, Wald- und Parkversammlungen werden heute wohl überall, wo es nur angeht und sich ermöglichen läßt, gehalten, und man vergesse es nicht, daß im Osten Deutschlands für diese Art, das Evangelium unter die Leute zu bringen, Graf Pückler eigentlich Bahnbrecher geworden ist.

Auch die Gemeinschaftsarbeit in anderen Städten, zum Beispiel in Frankfurt am Main durch Herrn de Neufville, ist nicht bloß durch Graf Pückler angeregt, sondern wie zum Beispiel in Stettin direkt von ihm ausgegangen, hat doch Graf Pückler Brüder sonntäglich nach Stettin fahren lassen, damit sie dort Versammlungen halten sollten. Bei den vielfachen Beziehungen des Grafen zu allen entschiedenen christlichen Arbeiten auch in anderen Städten und zu vielen christlichen Persönlichkeiten im ganzen Vaterland und selbst im Ausland ergab sich wie von selbst ein Zusammenschluß dieser christlichen Kreise. Mit seinem Freunde, Graf Bernstorff, und dem ehemaligen Offizier Baron Jasper von Oertzen, der sich ebenfalls wie Pückler ganz in den Dienst Jesu gestellt hatte, und zuerst in Hamburg, dann im Gemeinschaftsverein Schleswig-Holstein arbeitete, wurde dieser Plan einer Vereinigung sämtlicher Gemeinschaften besprochen und ernstlich erwogen. Im Mai 1887 wurde in Berlin eine allgemeine Konferenz geplant, zu der Graf Pückler einen Aufruf veröffentlichen sollte. Der Entwurf des Grafen fand Anklang. Die Evangelisationsfrage sollte öffentlich besprochen werden und die Gemeinschaftsfragen anerkannt werden.

Der Aufruf trug folgende Überschrift: Einladung zu einer freien Konferenz christlicher Männer aus allen Landeskirchen Deutschlands im Mai 1887 in Berlin, unterschrieben von Graf Bcrnstorff, Jasper von Oertzen und Graf Pückler.

Im Jahre 1888 fand die erste Gnadauer Konferenz statt, auf der Graf Pückler anwesend war. Seitdem hat er wohl nie gefehlt, als nur durch Krankheit verhindert in den letzten Jahren vor seinem Tode.

Bereits am 18. März 1884 hatte unter Vorsitz von Professor Christlieb in Bonn eine Sitzung stattgefunden, an der Prediger Schrenk, damals noch in Bern, Dr. Ziemann, London, Graf Pückler, Berlin, Pastor Erdmann von der Elberfelder Evangelischen Gesellschaft, später Superintendent in Graudenz, H. von Niebuhr, Bonn, u.a. teilnahmen. Man suchte in göttlichen Linien nach neuen Wegen und besten Methoden für die Evangelisation, man wollte nur dahin gehen, wo Pastoren freundlich sich stellen, man müsse die Erweckten pflegen - Graf Pückler konnte bereits aus einjähriger Erfahrung berichten -, man wolle eine Evangelistenschule „Johanneum“ in Bonn errichten. Herr von Oertzen hatte schon 1881 besonders gute Erfahrungen in Schleswig-Holstein gemacht, wo zwölf Pastoren sich für den Gemeinschaftsverein erklärten. Er wurde auch 1. Vorsitzender der Gnadauer Konferenz, nach von Oertzens Tode 1894 erklärte der Graf, ihm sei der Vorsitz als vom Herrn übertragen, und er blieb der Leiter zwölf Jahre. Ganz von Gott abhängig, mit tiefer Schrifterkenntnis, die Geschichte unseres Volkes und die Kirchengeschichte beherrschend, konnte er die Gnadauer Konferenz über viele Klippen hinwegführen und ihren Grundcharakter rein erhalten: die eigentlichen Aufgaben sollten nicht bloß erbaulicher Art sein, sondern man wollte brennende Fragen des Reiches Gottes ernsthaft durcharbeiten mit freier Aussprache, auf die er besonderen Wert legte, besonders Evangelisation und Gemeinschaftspflege fördern. 1897 schlug Graf Pückler die Gründung des Deutschen Verbandes für Gemeinschaftspflege und Evangelisation vor, da bis dahin zwischen den einzelnen Brüderräten der Länder und Provinzen nur lose Verbindung bestand. Graf Pückler entwarf die Verfassung, an deren Grundzügen bis heute nichts geändert ist:
Der Deutsche Verband für Gemeinschaftspflege und Evangelisation bezweckt (§ 1), innerhalb der Landeskirche christliche Gemeinschaft zu fördern und Leben aus Gott zu wecken. Er steht (§ 2) auf dem Boden der Heiligen Schrift und der reformatorischen Bekenntnisse.“ Er ruht also auf der Grundlage, die Gott in der Heilsgeschichte und in der Kirchengeschichte gegeben hat. „Er ist (§ 3) als der Zusammenschluß der unter der Leitung von Brüderräten zusammengeschlossenen innerkirchlichen Gemeinschaften anzusehen, soweit die betreffenden Brüderräte dem Verband angegliedert sind. Er vertritt (§ 4) die gemeinsamen Interessen der ihm angeschlossenen Gemeinschaften, fördert das deutsche Gemeinschaftswesen als solches und ergreift diejenigen Maßnahmen, die geeignet sind, eine nähere Verbindung der einzelnen ihm angeschlossenen Gemeinschaftskreise untereinander herzustellen. Die einzelnen Brüderräte sind (§ 7) in ihrer örtlichen Gemeinschaftsarbeit sowie in der Berufung von Gemeinschaftsarbeitern und Herausgabe von Veröffentlichungen für ihre gesamte Arbeit allein verantwortlich.

Diesen Grundlinien wurde bei ihrer Entstehung folgende Begründung beigegeben: Auf Grund der Heiligen Schrift und in Übereinstimmung mit den Vätern unserer evangelischen Kirche halten wir die Sammlung erweckter und gläubiger Gemeindeglieder zu Schriftbetrachtung und Gebet in besonderen Versammlungen neben den kirchlichen Gottesdiensten für ein unabweisbares Bedürfnis.

Indem wir so die Gemeinschaftssache zu pflegen und zu fördern suchen, wollen wir nicht die Separation, der wir vielmehr wirksamst vorbeugen, sondern das Wohl der ganzen Kirche und die Förderung des Reiches Gottes.

Als ein besonders wichtiges Mittel hierzu in unseren Tagen betrachten wir, das möglichst überallhin ertönende volkstümliche Zeugnis erfahrener Gnade an die von Christo Entfremdeten auch neben den ordnungsmäßig eingerichteten Gottesdiensten, und zwar von solchen, die von der Liebe Gottes getrieben und vom Heiligen Geist erfüllt sind, es seien Pastoren oder Laien.

Als die Brüder am 26. und 27. Oktober 1897 im Hospiz St. Michael zur gemeinsamen Besprechung zusammenkamen, sah man, daß Gott Großes in den wenigen Jahren getan hatte und die Türen für die Evangeliumsbotschaft und Sammlung der Gläubigen weit offenstanden. Man versammelte sich alle zwei Jahre in Gnadau, später in Schönebeck. Einige Jahre nach der Gründung des sogenannten Gnadauer Verbandes wurde Pastor Wittekindt als Reisesekretär gewonnen, der mit die Veranlassung wurde, daß Graf Pückler am 8. Juni 1906 nicht wiedergewählt wurde, sondern an seine Stelle der viel jüngere Pastor Michaelis.

Im Laufe der Jahre war infolge so mancher Eigenheiten des Grafen - sein einseitiger Begriff von unmittelbarer Geistesleitung, seine oft bis zur Unerträglichkeit zaudernde Ungewißheit, sein starkes Mißtrauen - der Widerspruch gegen seinen Vorsitz immer stärker geworden. Man führte deshalb für den Vorsitzenden eine vierjährige Wahlperiode ein, was Graf Pückler allerdings als ein Abweichen von der göttlichen Linie verurteilte. So kam es, daß nach Ablauf einer solchen Periode der Graf nicht wiedergewählt wurde. Als ihm dies wohl in reichlich unfreundlicher Weise von einem jungen Bruder nahegelegt wurde, sagte er nichts, sah ihn nur mit festem, traurigem Blick an. Später gefragt, was dieser Blick, der unvergeßlich tief haftengeblieben war, zu bedeuten gehabt hätte, antwortete Graf Pückler: Ich habe nur eins gesagt: Herr Jesu, halte die Nägel fest! Das ist der ganze, echte Graf Pückler in der Größe seines Charakters.

Er war eine Führernatur, er befolgte wohlüberlegte, durch gesunde, biblische Lehrüberzeugung geklärte Grundsätze. Dennoch war er auch Augenblickseindrücken zugänglich, so daß es zu heftigen Ausbrüchen, zu Entgleisungen kommen konnte. Es war nur gut, daß er von herzgewinnender Freundlichkeit war und in seinen tiefen Augen warme Liebe jedem entgegenleuchtete.

Auch für die Studentenarbeit wurde Pückler bedeutungsvoll. 1889 hatte Baron von Starck in Amerika an der vierten christlichen Studentenkonferenz teilgenommen. Es bewegte ihn der Gedanke, eine ähnliche Arbeit auch in Deutschland ins Leben zu rufen. Er besprach diesen Plan mit Rothkirch, Phildius und Graf Max von Lüttichau. Diese empfahlen, für diese Aufgabe doch den Grafen Pückler zu gewinnen. Er tat es mit ganzer Hingabe und Treue. "Er drückte“, so sagte Pastor Humburg in seinem Nachruf, „dem ganzen Studentenwerk der DCSV seinen Stempel auf, und der Stempel war gut. Es war eine mächtige, einseitige, aber nicht geistlose, sondern von Gottes Geist beherrschte und erfüllte Betonung der Fragen der Bekehrung, der Hingabe und Heiligung des Lebens.“ Auch diese Bewegung wurde ganz stark von Pückler beeinflußt. Er sah klar die Gefahren, die jedem geistlichen Leben von der studentischen Romantik und deutschen Gemütlichkeit und Bierseligkeit wie auch von der intellektuellen Seite her drohen, wo man denkend die Probleme des christlichen Glaubens und Lebens meint durchdringen zu können - eine Gefahr, die nach dem Kriege und gegenwärtig unter dem Einfluß der sogenannten dialektischen Theologie noch viel zeitgemäßer ist, da sie selbst bereits gläubig gewordene Studenten innerlich beunruhigt und ihnen die klare Bekehrung und das Glaubensleben als Täuschung oder gar als innere Unwahrhaftigkeit hinzustellen droht.

In den Jahren 1891-1894 hat damals die DCSV um diese Fragen gerungen, so daß es sogar zu einem Gegenkongreß kam, aber Pückler bleibt fest als Mann eines Gedankens, es müsse erst der Grund inneren Lebens gelegt sein, ehe man weitere Aufgaben angreifen könne. Ihn nahm nun einmal der feste Wille ganz hin, Deutschlands studierende Jugend zum Heiland zu führen. Darum zeigte ihr der Graf die ganze Herrlichkeit eines Lebens der Hingabe an Jesus und das wahrhaft Männliche und Ritterliche, das in solcher Hingabe für einen Studenten liegt. Wie oft hat er, einem solchen jungen Studenten strahlend in die Augen schauend, die Frage gestellt: „Was könnte aus dir werden, wenn du dein Leben ganz, ganz dem Heiland hingibst?“! In evangelistischen Ansprachen und in ernsten seelsorgerlichen Gesprächen suchte er den Studenten innerlich zu dienen, daß sie ja nicht ihre Kräfte zersplittern und vergeuden sollten. Er wollte nun einmal erst das Zentrum in Ordnung bringen, d.h. eine klare Entscheidung für Jesus getroffen wissen, ehe man sich um die Dinge kümmern dürfe, die an der Peripherie liegen. Das gab in der Führung große Schwierigkeiten, stieß manche vor den Kopf, so daß sie die Reihen der DCSV verließen. Aber auch die wunderbare Art seiner großen Liebe, die selbst seinen ihm angeborenen aristokratischen Charakter überwand, hat auch Widerstrebende innerlich ergriffen. Seine äußerlich wunderliche Art - auf Gottes Eingebung zu warten -, mit der er Versammlungen, Sitzungen, Bibelstunden behandelte, haben viele nur mit Seufzen ertragen, wenn auch später manches hier ruhiger und geheiligter wurde. Doch bleibt es dabei, daß die Zeit jener ersten Liebe, die in Graf Pückler förmlich verkörpert schien, bei jedermann den Eindruck hinterließ: „Der hat etwas, das habe ich nicht!“ Und Privatdozenten, Konviktinspektoren sind von Gottes Geist tief berührt worden und stimmten jubelnd ein: „Jesu Liebe kann erretten, seine Hand ist stark und treu, er zerbricht der Sünde Ketten und macht alles, alles neu.“ Zuerst bestimmte der Graf allein die DCSV, später, als es ihm gewiß wurde, daß auch das junge Geschlecht - etwa um die Jahrhundertwende - mit ihm in den innersten Fragen der Bekehrung einig ging, „ließ er es zu“, daß auch die Studenten in den Vorstand kamen. Er war ein Mann des Gebets, er rang stundenlang um die Seelen derer, die ihm Gott aufs Herz gelegt hatte. Vorstandssitzungen wurden Gebetsversammlungen. Jedes Wort, das er schrieb, wurde erst durchgebetet.

Auch darin trat die Eigenart des Grafen deutlich hervor, daß es im eigentlichen Sinn des Wortes in den ersten Jahren keine Deutsche Christliche Studentenvereinigung gab, sondern Kreise christlich erweckter Studenten, die durch die jährlichen Studentenkonferenzen lose miteinander verbunden waren. Den größten Kreis, den es gab, den in Berlin, leitete der Graf persönlich. Durch Rundschreiben suchte er die anderen studentischen Kreise anzuregen und zu stärken. Diesem Zweck diente die Anstellung eines Reisesekretärs im Herbst 1894. Clark, der damals zur Gründung des Jugendbundes für entschiedenes Christentum aus Amerika herübergekommen war, hat auch im Studentenwerk segensreiche Anregungen dem Grafen vermittelt. Auch die Bedeutung eines Dr. Mott hat er wohl anerkannt, aber dem angelsächsischen Wesen und Christentum gegenüber verhielt er sich durchaus ablehnend. Nur ihren Arbeitseifer und ihre Geschicklichkeit rühmte er, und darum sang er auch gern die „englischen“ Reichslieder, weil sie Lieder der Arbeit für den Herrn waren. Er hat „in den kritischen Jahren trotz vieler Verkennung unter klarer göttlicher Leitung und göttlichem Segen zielbewußt die DCSV mit seinem Herzblut geleitet, getragen und geführt“. Das sagt man von ihm, als er 1912 sein Amt als Vorsitzender der DCSV niederlegte. Ohne diese starke, einseitige Führergestalt des Grafen hätte sich diese Bewegung nie unter den Studenten durchgesetzt. Gerade in der Art, wie Graf Pückler seinen Rücktritt vollzog und verwunden hat, zeigte er seine innere Größe, von Demut und vergebender Liebe getragen.

Für ein anderes Werk ist Graf Pückler auch noch förmlich als Begründer anzusprechen: Im Spätsommer 1903 gab es in der Schwesternschaft des Magdalenenstiftes in Teltow eine Spaltung: ein Teil der Schwestern - 25 an der Zahl - war zusammen mit der Oberin aus der alten Schwesternschaft ausgetreten und wußte nun nicht wohin. Da, an einem Mittwochabend, steht Graf Pückler vor ihnen. Er hat nämlich in Berlins Umgebung den rechten Weg verfehlt, kommt an den Teltower See, findet hier einen Dampfer - den ersten, der überhaupt den See befuhr -, bittet um die Erlaubnis, an dieser ersten Fahrt teilzunehmen, und steht jetzt in unmittelbarer Nähe des „Magdalenenstiftcs“. Nach dem Ergehen der Schwestern sich erkundigend, hört er von ihrer Not und ihrer Heimatlosigkeit. 25 Betten aber standen auf seinem Schlosse Schedlau in Schlesien unbenutzt zur Verfügung. Er hatte schon oft den geheimen Wunsch gehabt, es möchten Jünger Jesu einmal diese Betten benutzen können. Da bot der Graf den Schwestern für den Winter in Schedlau freie Aufnahme an. Ja, nach drei Tagen schenkte er ihnen, damit sie auch dahin reisen konnten, das nötige Reisegeld in Höhe von 2000 Mark. Am 2. November trat dann die Oberin Cäcilie Petersen mit den Schwestern die Reise nach Schedlau an. Hier fand man Arbeit genug. Gottes Winde wehten, viele wurden durch Gottes Gnade bekehrt. Mehrere junge Mädchen sind aus dieser Zeit gewonnen und heute Salem-Schwestern. Nach Lichtenrade von Gott gewiesen, fanden sie eine neue bleibende Heimat. Der Ortspfarrer, Pastor Klein, nahm sie freundlichst auf, ebenso der kleine Kreis der Gemeinschaftschristen. Am 1. Mai 1904 zogen die Schwestern in Lichtenrade ein, und am 27. März 1906 konnte das Mutterhaus eingeweiht werden, und unter den Gästen befand sich natürlich auch Graf Pückler. So kam Pückler dazu, bei der Begründung des Diakonissenmutterhauses Salem in Lichtenrade mitzuhelfen.

Schließlich ist nicht zu vergessen, daß auch der Märkische Verband für Gemeinschaftspflege und Evangelisation seine Entstehung dem Grafen Pückler verdankt.

Hudson Taylor, der Begründer der China-Inland-Mission, hat im März 1897 zehn Tage im Hospiz Wilhelmstraße 34 Missionsvorträge gehalten und erzählt, wie Gott die Missionsstationen ins Leben gerufen habe und wie die Freunde daheim für diese Mission mit ihren Gebeten und Gaben eingetreten seien. Das bewog viele Freunde des Reiches Gottes aus der Provinz und Berlin, den Grafen zu bitten, er möchte doch die Gläubigen zusammenschließen. Als der Graf diesen Wunsch als Willen Gottes klar erkannt hatte, setzte er sich auch hierfür mit seiner ganzen Kraft ein. Es bestand eine Monatsschrift "Philadelphia", von Rektor Dietrich, Stuttgart, herausgegeben, um die zerstreuten Kinder Gottes zu sammeln und zu pflegen. Soweit deren Leser in unserer Provinz wohnten, wurden sie nunmehr zur ersten Philadelphia~Brüderstunde am 2. Osterfeiertag 1897 nach dem Hospiz St. Michael, Wilhelmstraße 34, eingeladen. Hier lernte man sich kennen und wurde eine kleine Zeugenschar, die sich hin und her in den einzelnen Orten in den Häusern versammelte und sich zu kleinen Ortsgruppen zusammenschloß.

Um die Mark mit dem Evangelium zu erfüllen, schickte Graf Pückler Sendboten als Kolporteure und Reiseprediger ins Land. So stellte sich Pastor Bührmann als Reiseprediger für die Mark zur Verfügung und evangelisierte in vielen Orten lange Zeit im reichen Segen. Auf seinen Wunsch stellte Graf Pückler den jungen verlobten Br. Heydorn - in Breklum im Seminar hatte Pastor Bührmann ihn kennengelernt - 1895 als Kolporteur an und wies ihm den Sitz in Strausberg an. Da die Pastoren hier eine ablehnende Stellung einnahmen, konnte sich Br. Heydorn mit dem Grafen Pückler nicht finden und ging 1897 nach Frankfurt (Oder), wohin ihm alleinstehende, gläubige Geschwister gerufen hatten.

Dieser Zweig blieb selbständig, breitete sich durch Br. Heydorns Dienst unter Gottes sichtbarem Segen mächtig aus und gab den Grundstock ab für dcn 1907 gegründeten Brandenburger Gemeinschaftsbund, der von den Brüdern Pastoren Ernst und Johannes Lohmann und Huhn in Baudach gegründet wurde und seit 1921 unter der Leitung des Predigers Weifenbach in Berlin steht.

Diesem Gemeinschaftsbund schloß sich noch ein anderer Kreis an, der 1897 auch vom Grafen Pückler in Pflege genommen war. In Eberswalde und Freienwalde wohnten gläubige Geschwister aus verschiedensten Ständen und suchten Zusammenschluß und Gemeinschaft. In Freienwalde war es besonders Frau A. von Hochstetter, die in Männedorf am Zürichsee 1894 reich gesegnet war und in Hausandachten eine Schar suchender Seelen um sich sammelte. Verschiedene Seelen kamen zum lebendigen Glauben. Unter ihnen waren Herr und Frau von Alten als Verwandte meiner Frau später oft unsere Gäste. Auch sie stellten ihre Wohnung für eine „Damenbibelstunde“ zur Verfügung. Man bat von Eberswalde und Freienwalde her den Grafen Pückler um Hilfe. Er griff gern ein und sandte den aus meiner ersten Gemeinde Debenke stammenden, in Breklum ausgebildeten Br. Wrase im Oktober 1897 als Sendboten und Kolporteur in diese Arbeit, um christliche Blätter zu verbreiten und Bibelstunden zu halten. 1898 hielt hier Pastor Bührmann die erste Evangelisationsversammlung. 1900 kam Pfarrer Ernst Lohmann nach Freienwalde und in das von Frau von Hochstetter als Hausmutter und Fräulein Wasserzug als Lehrerin betreute Bibelhaus. Es kam zu einer selbständigen Arbeit in der Gegend von Eberswalde und Freienwalde. Br. Wrase mußte zurückgezogen werden. Auch dieser Kreis schloß sich 1907 dem Brandenburger Gemeinschaftsbund an.

Um 1900 hatte Graf Pückler noch keinen Vorstand und keinen Brüderrat. Er lud aber die Geschwister aus der Mark, die sich zu ihm hielten, zur ersten Philadelphia-Konferenz zum 2. Osterfesttag 1900 nach der Wilhelmstraße 34 ein.

Dann erfolgte am 15. Februar 1901 im Hospiz die erste Konferenz des Märkischen Verbandes für Evangelisation und Gemeinschaftspflege mit Pastor Stockmayer in Hauptwil als Hauptredner. Die Einladung hierzu hatten außer Graf Pückler noch die Pastoren Bührmann und Dönitz in Tempelhof, später Köpenick, unterschrieben. 1903 traten noch die Pastoren Klein in Lichtenrade und Lüdecke in Prötzel und der mir seit 1906 persönlich bekannte Eisenbahnbetriebssekretär Friese in Küstrin hinzu, 1904 der Kreisausschußsekretär Rathmann, der in Perleberg 1892 bereits eine Gemeinschaft gegründet hat, und Gerichtsassessor Dr. Wilke in Westend, der als Pfarrer vor einigen Jahren gestorben ist.

Schon 1908 waren hauptamtlich im Märkischen Verbande tätig Br. Stachelhaus in Strausberg, Peter, ehemaliger Berliner Gasarbeiter, der 1902 in Wilsnack, 1906 in Havelberg und Wittenberge zu arbeiten angefangen hatte, Br. Lach in Brandenburg, später Arnswalde, Br. Wolff in Wriezen, Br. Joseph in Potsdam, Br. Liptow in Vietz, Br. Stuhlert in Königs Wusterhausen, als Kolporteure für Arnswalde Br. Brellenthin und für Köpenick Br. Gröhnert. Von 1898 half nach seiner Militärzeit in Spandau Wasserbauinspektor Br. Braemer, der heute Vizepräses von St. Michael und stellvertretender Vorsitzender des Märkischen Verbandes ist, in der Gemeinschaftsarbeit in der Mark.

Der Orte waren zu viele, die bedient und gepflegt sein wollten, und der Brüder zuwenig, und Graf Pückler hatte in Berlin genug zu tun. Die Arbeit gewann durch immer neue Außenstationen Zuzug, leider haben in der Kriegszeit, in der der Graf im Felde war und viele der Brüder ebenfalls, und die noch vielmehr verheerende Inflationszeit großen Schaden angerichtet, und als der Graf starb, war vieles in Gefahr, zu zerfallen. Da griff aber tatkräftig und μmsichtig Herr Regierungsrat Müller ein. Heute blüht der Märkische Verband unter seiner Leitung zum Segen der armen dürren Mark. Alle drei Verbände beweisen ihre Notwendigkeit und nehmen ihre Leiter völlig in Anspruch. Aber dankbar muß auch die Mark sein, daß in den Jahren 1897 bis 1908 Graf Pückler mit weitem Herzen und brennender Liebe nicht bloß an Berlins Not dachte, sondern sich auch der toten Mark annahm, in der noch nie der Geist der Erweckung geweht hatte wie in anderen Teilen des Vaterlandes.

Übersicht über die Geschichte der Christlichen Gemeinschaften St. Michael
Autor: Max Diedrich (1958)

Kapitel 1 - Die religiöse Lage in Berlin um 1880
Kapitel 2 - Eduard Graf von Pückler
Kapitel 3 - Die Entstehung der St.-Michaels-Gemeinschaft
Kapitel 4 - Gemeinschaft - Gemeinschaftsbewegung - Kirche
Kapitel 5 - Die St.-Michaels-Gemeinschaft in ihrem inneren Aufbau
Kapitel 6 - Das St.-Michaels-Werk im äußeren Wachstum
Kapitel 7 - Graf Pückler in seiner Bedeutung für das Reich Gottes
Kapitel 8 - Die Gemeinschaften und Sonderarbeiten
Kapitel 9 - Die religiöse Lage in Berlin um 1955

Überarbeitung von Hellmut Hentschel (2010)

Kapitel 1 - Die religiöse Lage in Berlin um 1880 (überarbeitet 2010)
Kapitel 2 - Eduard Graf von Pückler (überarbeitet 2010)
Kapitel 3 - Die Entstehung der St.-Michaels-Gemeinschaft (überarbeitet 2010)

Geschichte der Christlichen Gemeinschaften St. Michael der Dekade 1870 / Dekade 1880 / Dekade 1890 / Dekade 1900 / Dekade 1910 / Dekade 1920 / Dekade 1930 / Dekade 1940 / Dekade 1950 / Dekade 1960 / Dekade 1970 / Dekade 1980 / Dekade 1990 / Dekade 2000 / Dekade 2010
Jahres-Chroniken ab 1870 (in Bearbeitung)